Ein warmer Dezember 2019 ermöglichte mir noch einige Ausfahrten mit meinem neuen Spezialized Turbo Kenevo Gen2 . Die extrem lange Geometrie mit 27,5er Laufrädern gefiel mir aufs Erste gar nicht so recht. Zu träge und zu speziell, übertrieben für meine Hometrails dachte ich … – Spezialized Turbo Kenevo Expert 2020 – First Setup, first ride – und ein 29er Vorderrad wollte ich eigentlich auch nicht mehr missen – Spezialized Turbo Kenevo 2019 – Laufradgrößentest. Bei der langen Geometrie des 2020er Kenevos wäre ein Umrüsten auf 29“ Vorderrad (wie beim 2019er Kenevo) wohl keine gute Idee … Doch schon bei der ersten Testfahrt – Spezialized Turbo Kenevo Comp 2020 Kurztest –  war ich von der Sicherheit und Souveränität begeistert; und das im Vergleich zum alten Kenevo, das ja auch supersatt liegt. Dann der Vergleich – Cannondale Moterra1 2020 versus Spezialized Kenevo Expert 2020: Trotz 29er Wheels ist das Moterra deutlich agiler und leichtfüßiger, aber bei Weitem nicht so stabil wie das Kenevo Gen2. Jetzt ist mein neues Kenevo mit weicherer Stoßdämpferfeder bestückt, die Gabel ist abgestimmt und das Setup passt mir perfekt. Nach gut 500km habe ich einige Erfahrungen gesammelt.

Fahreigenschaften bergauf – Sitzposition top, Übersetzung flop

Die lange Geometrie und der steile Sitzwinkel lassen das Kenevo2 sehr gut klettern. Einzig die Übersetzung ist mit 42 Zahn hinten (42-11) zu schwer, wenn man mit geringer Unterstützung steile Climbs fahren will. Das geht dann nur schneller und mehr Unterstützung. Wobei ich die 11-fach Schaltung aufgrund der breiteren Kette schon für sinnvoll am E-Bike halte.  e*thirteen bietet zB eine 11-fach 9-46er Kassette an, das wäre eine sinnvolle Tuningmöglichkeit.

Geometrie bergab – tiefer Schwerpunkt bringt Sicherheit

Lang und flach gibt Sicherheit, die 27,5er Wheels sorgen für die nötige Agilität. Obwohl ich 29er Vorderradfan bin, muss ich sagen, dass der niedrige Schwerpunkt in technischen Passagen Sicherheit bietet. Zu den kleineren Laufrädern senkt sich durch die lange Geometrie (495mm Reach bei S4) auch der Körperschwerpunkt in Fahrposition. Ein weiteres Plus der Länge ist die geringere Überschlagsgefahr in Steilstücken. In Summe bringt die Geometrie also Sicherheit in schnellen aber auch langsamen technischen Passagen, wenn es steil bergab geht. Als Nachteile bleiben die relativ langen Kettenstreben, die ein Anheben des Vorderrads erschweren (aber halt auch Stabilität bringen) und das schlechtere Über- Rollverhalten der kleineren Laufräder. Allerdings überwiegen die Vorteile. Vor 6 Monaten hätte ich nicht gedacht, dass ich das mal so schreibe!

Fahrwerk – Top nach Setup

Neben der Geometrie ist das Fahrwerk des Kenevo Expert das zweite Highlight. Zwar sind die Rock Shox „Select“ Federelemente unter der High End Linie angesiedelt, funktionieren aber für schnelle Hobbyfahrer hervorragend. Getrennte Einstellbarkeit von High- und Lowspeed bei Zug- und Druckstufe (wie in den High End Komponenten) macht das Fahrwerk nur besser, wenn man sich damit wirklich auskennt und das auch beim Fahren erfühlen kann. Was die reine Dämpfung betrifft, funktionieren die Select Elemente ausgezeichnet, die Grundabstimmung ist gelungen. Da ist die einfache Einstellbarkeit für mich kein Nachteil. So gut die Komponenten auch sind – bei der Federhärtegrundeinstellung gibt es doch einiges zu verbessern. So ist die hintere Feder bei Größe S4 (L) für meine 85kg zu hart, dafür schlägt die Boxxer mit serienmäßig 2 Token (Zylinder zur Verkleinerung der Luftkammer) bei harten Landungen durch. Mit dieser Abstimmung passt dann auch die Balance des Bikes nicht, man ist kopflastig unterwegs. Mit der weicheren 500lb Feder und mit aktuell 4 Token in der Gabel schaut die Sache schon anders aus. Die Gabel schlägt zwar in Extremsituationen noch immer durch, aber im Normalfall fährt man den Federweg so sehr schön aus. Die Gabel steht auch mit 140PSI schön im Federweg und taucht nicht zu schnell weg. Beeindruckend auch die Steifigkeit und Präzision der Doppelbrückengabel. Da fährt man Linen, die man sich nicht zugetraut hätte. Das hintere Deluxe Coil Federbein spricht fein an und vermittelt ein sattes, sicheres Fahrgefühl, wenn die Schläge schnell und hart kommen. Im Vergleich zum Öhlins TTX am 2019er Kenevo, der ja auch schon sehr gut funktioniert, wieder spürbar besser.

Gabel Rock Shox Boxxer Select RC Setup:

  • Luftdruck: 140PSI
  • Token: 4 (Basic 2)
  • Zugstufe: 7 auf
  • Kompression ganz offen

Federbein Rock Shox Deluxe Coil Select Setup:

  • Feder: 500lb (Serie 550lb bei S4)
  • Zugstufe: 6 auf

Schwachpunkt Bremse

Schon beim 2019er Kenevo war ich mit SRAM Code R  Bremse nie richtig happy. Druckpunktwandern, wenn man die Hebel nahe zum Lenker einstellt, und zu wenig Initial-Biss. Das ist 2020 nicht anders. Sicher kann man sich daran gewöhnen; wer aber dazwischen mit einer Shimano Saint oder Magura MT7 fährt weiß, dass es deutlich besser geht. Ich möchte dennoch die Bremse vorerst nicht wechseln, sondern sorgfältig entlüften und für mehr Biss vorne eine 220er Scheibe montieren.

700Wh Akku  – nie mehr ohne

Ein Riesenschritt vorwärts ist der große 700Wh Akku, der 40% mehr Kapazität aufweist. Mit dem 2019er Kenevo (504Wh) musste ich mit maximal 20% Unterstützung fahren, um meine 1.600 Höhenmeter Heimrunde zu schaffen. Da ist man ständig am Sparen und kalkulieren. Mit dem neuen 700er Akku fahre ich mit 30 bis 50% Unterstützung die gleiche Runde aber viel schneller. Oder ich fahre deutlich mehr Downhills. Man hat einfach mehr Möglichkeiten. Zurzeit fahre ich mit 30/50/70 Unterstützung.

Gewicht – es könnte etwas leichter sein

Ein leichtes Bike lässt sich besser vom Boden abziehen und fährt sich agiler. Mit 24,5kg ist das neue Kenevo gleich schwer wie das 2019er Modell. Allerdings mit großem Akku, Doppelbrückengabel und robusteren Laufrädern. Gut dass es nicht schwerer ist, aber mein Merida E-One Sixty war 2017 um 3kg leichter! Sicher – mit externem 500Wh Akku und leichteren Teilen – war es nicht auf dem Reichweiten- und Hardcore Downhillniveau wie das Kenevo. Und damit eigentlich in einer anderen Kategorie. Dennoch geht der Gewichtstrend aktuell mit integrierten großen Akkus in die falsche Richtung. Obwohl sich das Kenevo trotz des hohem Gewichtes agil bewegen lässt, hoffe ich doch, dass die Zukunft leichtere, aber dennoch robuste E-Freerider bringt. Hier geht noch was!

Verarbeitung – es könnte etwas besser sein

So gut bei Spezialized auch Geometrie und Konstruktionsdetails (wie etwa die Hinterbaulager oder SWAT Tools) sind, so gibt es auch ein paar Kleinigkeiten die nicht sein müssten. Neben der schlechten Lackqualität – Spezialized Turbo Kenevo Expert 2020 – First Setup, first Ride – ist es der Steuersatz, der gerne knarzt und öfter geschmiert werden will. Wie schon beim 2019er Kenevo.

Highlights

  • Fahrwerk
  • Geometrie

To improve

  • Bremsen
  • Gewicht

Fazit

Die neue aggressive Geometrie in Verbindung mit dem Topfahrwerk ergibt ein E-Bike mit bisher unerreichten Downhillfähigkeiten. Dennoch ist es – Fahrkönnen vorausgesetzt – agil und spritzig zu bewegen, fährt supertechnisch bergauf wie bergab und ist viel allroundtauglicher, als man es vermuten würde. Für meinen Einsatzbereich perfekt!