Nachdem ich mein Spezialized Turbo Kenovo Expert bereits einige Zeit mit größerem 29“ Vorderrad gefahren bin, wollte ich einen Crosscheck mit anderen Reifengrößen und Breiten machen.

29“ Nachrüsten verändert die Geometrie nicht immer zum Guten

Durch das 29“ Vorderrad hebt sich nicht nur die Front, sondern auch das Tretlager. Außerdem wird der Radstand länger und der Lenkwinkel flacher. Das sind massive Eingriffe in die Geometrie und somit auf die Fahreigenschaften eines Bikes. Generell wird das Bike dadurch downhilllastiger bzw. speedorientierter. Wie sich der Umbau bei meinem 2019er Kenevo ausgewirkt hat, lest Ihr in meinem Beitrag Spezialized Turbo Kenevo 2019 Test 29×2,6“ Vorderrad.

Zwei Geometriefaktoren sind beim Umbau auf ein 29“ Vorderrad kritisch

  • Der Lenkwinkel ist beim Kenevo mit 65° nach dem Umbau 64° sehr flach. Beeinträchtigt das das Handling im langsamen engen Gelände zu sehr?
  • Das Tretlager wird um 1cm angehoben. Je höher das Tretlager umso höher der Schwerpunkt. Wirkt sich das nachteilig auf die Fahreigenschaften aus?

Gewaltiger Größenunterschied von 5 cm zwischen kleinsten und größtem Testlaufrad.

Das Bessere ist des Feind des Guten – also Testen, Testen, Testen

Um die Fragen der Geometrieveränderungen zu klären, wollte ich zuerst zurück auf vorne/hinten 27,5“ Laufräder um den Lenkwinkelunterschied und dann über verschiedene Reifenbreiten die Unterschiede in der Tretlagerhöhe „erfahren“.

Reifenbreite = Reifenhöhe

Die Reifenbreite hat Einfluss auf Traktion, Dämpfung, Handling und Präzision. Ein schmälerer Reifen ist auch weniger hoch, dadurch senkt sich das Tretlager. So baut ein 2,35“ Reifen 0,5cm niedriger als ein 2,6“ und 1cm niedriger als ein 2,8“. (alles Schwalbe Magic Mary) Also beeinflußt die Reifenbreite über die Tretlagerhöhe auch die Fahreigenschaften des Bikes.

Vorne + Hinten 27,5×2,8“

Wieder zurück auf den Kenevo Original Dimensionen. Durch das 1cm niedrigere Tretlager (im Vergleich zum 29“ Vorderrad) sitzt/steht man niedriger, gefühlt mehr im Bike, mehr dem Boden nahe was Sicherheit gibt. Der wieder steilere Lenkwinkel ist auch zu merken, wenn auch nicht gravierend. Schon eher spürt man weniger Präzision am kleineren breiteren Vorderrad. Auch springt das Rad durch das große Volumen der 2,8“ mehr („bouncen“) und rollt nicht so gut über Hindernisse. So bereift fährt sich das Kenevo sicher, komfortabel aber nicht präzise.

Vorne + Hinten 27,5×2,3“

Das Extrem. So wird wohl kaum jemand einen E-Bike Freerider fahren. Trotzdem wollte ich wissen, wie sich das sehr tiefe Tretlager und die schmalen Reifen auswirken. Im Vergleich zum 2,8“ bereiften Kenevo ist das Tretlager 1cm tiefer; im Vergleich zum 29“ Vorderrad sogar 2cm. Das ist massiv. Und wirklich ist das tiefe Fahrgefühl grundsätzlich super. Allerdings hat man immer wieder Kurbelaufsetzter trotz der kurzen 165mm Kurbelarmlänge. Die vergleichsweise schmalen Reifen dämpfen weniger, fahren sich aber ultrapräzise. Erinnert schon ein wenig an carven mit Ski oder Snowboard; das hat schon was. Aufpassen muss man, wenn man – wie ich in diesem Test -, die 2,35“ auf die breiten 38mm Felgen des Kenevos montiert. In schnellen Anliegerkurven neigen die Reifen zum Walken, was ein unsicheres Fahrgefühl ergibt. Das wäre keine Dauerlösung. Ist es aber sowieso nicht, da das Tretlager gefährlich tief ist.

Schmale 2,35″ sind am mächtigen Kenevo deplatziert.

Vorne + Hinten 27,5×2,6“

Eine sehr gute Bereifung. Die Tretlagerhöhe ist 0,5cm niedriger als mit originalen 2,8“ Reifen; das ist bei der Tretlagerhöhe des Kenevos gerade vertretbar. Die 2,6“ Reifen bouncen (springen) nicht und führen sehr gut. Auch das Heck reagiert mit den etwas schmäleren (-4,5mm zu 2,8″) Reifen agiler und präziser. Für einen technischen Fahrer eine gute Option.

Vorne 29×2,6“  Hinten 27,5×2,6“

Mit dieser Mischbereifung nimmt man die 2,6“ Vorteile (Präzision und kein Bouncen) auf das Hinterrad mit. Gegenüber dem 2,8“ Hinterrad verliert man allerdings etwas Komfort und Bremstraktion. Außerdem ist das Heck wieder 5mm niedriger. Gut für die Tretlagerhöhe, aber schlecht für den Lenkwinkel, der noch flacher wird.

Testride mit 27,5″x2,6″

Welche Laufradgröße und Reifenbreite ist die Richtige für Dich?

  • Komfortorientierter Fahrer: Vorne+Hinten 27,5×2,8″
  • Kleiner Fahrer (Rahmenhöhe S/M) und/oder handlingorientiert:  Vorne+Hinten 27,5×2,6“
  • Großer Fahrer speed- und komfortorientiert: Vorne 29×2,6“ Hinten 27,5×2,8“
  • Großer Fahrer speed- und präzisionsorientiert: Vorne 29,5×2,6“ Hinten 27,5×2,6“

Fazit

Ein 29“ Vorderrad gibt mir bergab Sicherheit und führt exzellent. Das möchte ich nicht missen. Beim Kenevo nehme ich dafür die Nachteile des etwas zu flachen Lenkwinkels und höherem Tretlager in Kauf. Uneingeschränkt empfiehlt sich ein Nachrüsten eines 29“ Vorderrades nur bei Bikes mit (zu) steilen Lenkwinkel und niedrigem Tretlager. Also so gut wie nie. Ideal natürlich, wenn das Bike für den Laufradgrößenmix konstruiert wurde. 2019 nur von einigen E-Bike Marken angeboten, werden die Mischlaufräder 2020 wohl auf mehreren E-Bikes zu finden sein, vermute ich.