Nach gut 2.500km mit meinem Spezialized Turbo Kenevo Expert ist es an der Zeit, Resümee zu ziehen. Hat das downhilllastige E-Bike meine Erwartungen erfüllt? Was gefällt? Was nicht? Und welche Wünsche gibt es an den Nachfolger, auf den wir wohl nicht mehr lange warten müssen.

Extreme Kenevo Gen2 Geometrie – gefällt

Als Kenevopilot der ersten Generation – Spezialized Turbo Kenevo 2019 – First Ride – wünschte ich mir eine tiefere, sportliche Geometrie. Als ich die Daten der Gen2 sah, war ich sehr skeptisch, ob denn das nicht zuviel des Guten ist. Reach um 4cm und Radstand um 6cm länger sind schon brutal. Doch schon nach dem ersten Test – Spezialized Turbo Kenevo Comp 2020 Kurztest – war ich von der Souveränität überzeugt. Und daran sollte sich nichts ändern. Die lange flache Geometrie bringt den Fahrer in eine tiefe aggressive Stehposition. Dennoch bleibt das Bike agil, was den „kleinen“  27,5“ Rädern mit „schmaler“ 2,6“ Bereifung zu verdanken ist. Durch den steilen Sitzwinkel (77°) merkt man im Sitzen nichts von der Länge des Rads. Außer dass es sehr gut klettert. Das liegt neben der Gesamtlänge an den relativ langen Kettenstreben (455mm). Das Heck wird in den Boden gedrückt und ein Aufbäumen des Vorderrads verhindert. Diese positive Klettereigenschaft erschwert allerdings das Hochziehen des Vorderrads im Downhill. Was die Reifenfreiheit betrifft, hätte man den Hinterbau ruhig einen Zentimeter kürzer bauen können. Wobei wir auch schon bei meiner einzigen Kritik an der Geometrie sind. Sicher bringt die lange Kettenstrebe noch mehr Sicherheit und Stabilität bei Highspeed. Dennoch, hinten etwas kürzer würde dem Handling sicher nicht schaden und das Kenevo wäre spielerischer zu bewegen.

Und warum nicht 29“?

Mit 29“ hätte man die Geometrie nicht so radikal umsetzten können. Das Bike wäre dann zu sperrig und träge gewesen. Aber eine etwas gemäßigtere Geometrie mit 29“ vorne und 27,5“ hinten wäre vielleicht eine Idee, um das Beste aus beiden Welten zu vereinen …

Kenevo Gen2 Geometrie: Lang, flach und mit 27,5″ Laufrädern

Rock Shox Downhill Fahrwerk – schluckfreudig

18cm Federweg, Doppelbrückengabel und Stahlfederbein. Da geht was! Auch wenn die Rock Shox Elemente nicht aus der Toplinie sondern „nur“ aus der Select Serie stammen, sind sie funktionell und perfekt für schnelle Hobbypiloten.

Gabel – Rock Shox Boxxer Select RC

Das Kenevo Expert ist mit Rock Shox Boxxer Doppelbrückengabel ausgestattet, und zwar mit 18cm Federweg. Ich habe vorne auf eine (original Rock Shox) 19cm Kartusche umgebaut und habe jetzt einen Zentimeter mehr Federweg vorne. Lest darüber im Bericht – Spezialized Turbo Kenevo Expert 2020 – Tuningtipps –. Nachteil der Doppelbrückengabel ist sicherlich der geringere Lenkeinschlag. Wer öfter Spitzkehrenwege fährt, wird damit nicht glücklich werden. Dafür ist die Steifigkeit in Vergleich zu herkömmlichen Gabeln wie Fox Float 36 oder Rock Shox Lyrik spürbar höher. Man fährt Linien, die man sich nicht zugetraut hätte. Da mehr Steifigkeit an der Front – speziell bei E-Bikes – durchaus Sinn macht, sind ab 2021 neue, dicken 38mm Einfachbrückengabeln (Fox Float 38, Rock Shox ZEB) am Markt, die wohl mit der Boxxer Steifigkeit mithalten können. Diese Gabeln werden wohl der E-Bike Standard bei Bikes ab 160mm Federweg werden. Doppelbrückensteifigkeit bei weniger Gewicht und vollem Lenkeinschlag. Jawoll!

Dämpfer – Rock Shox Deluxe Coil Select

Am Heck ist das 2020er Kenevo Expert mit einem Stahlfederdämpfer ausgestattet. Hinten fahre ich eine weichere 500lb Feder; die bei Größe S4 verbaute 550lb war mir mit meinen 85kg zu hart. Der Stahlfederdämpfer spricht super an und hat ein extrem sattes Fahrverhalten. 2021 hat Spezialized einen Luftdämpfer verbaut. Der ist leichter und lässt sich einfach auf das Körpergewicht abstimmen. Gute Luftdämpfer können mit Stahlfederdämpfern mithalten. Da Gewicht (auch bei downhillastigen) E-Bikes ein immer größeres Thema wird, gehört die Zukunft wohl den Luftfederbeinen. Obwohl die Optik würde für den Coil Dämpfer sprechen.

Harte Landungen schluckt das Kenevo Fahrwerk locker

Motor – überzeugend

Der 2.1er Motor im Kenevo ist ein eigens von Spezialized konfigurierter Brose Motor. Und der ist kraftvoll, leise und unterstützt natürlich. Dazu ist er über die Mission Control App wunderbar einzustellen. Dass es kein Display gibt, sondern nur eine Batterieanzeige am Oberrohr ist für mich ein weiterer Pluspunkt. Was die Kraftentfaltung (Reaktion auf Eigenleistung) betrifft, ist der Bosch Performance Line CX allerdings etwas besser aufgestellt. – Bosch Performance CX 2020 versus Spezialized 2.1 Brose –  Gewichtsmäßig ist wiederum der 2021 neue Shimano EP8 gut 400gramm leichter. Jeder Motor hat so seine Vorzüge, wobei das leise Geräusch und die Konfigurierbarkeit des Brose im Spezialized für mich ganz oben auf der Liste stehen.

700Wh Batterie – ausdauernd

Das Spezialized Kenevo Gen2 Expert hat eine 700Wh Batterie. Beim alten Kenevo mit 500Wh war jede Ausfahrt eine „Batteriesparfahrt“. Die Zeiten sind vorbei. Mit 700Wh fährt man deutlich schneller und/oder länger. Das möchte ich nicht mehr missen. Die große Batterie ist allerdings 0,7kg schwerer, wobei wir wieder beim Thema Gewicht wären…

Spezialized Kenevo Gen2 im Uphill

Der starke Motor und die ausdauernde Batterie passen perfekt zu den top Klettereigenschaften des Kenevos

Gewicht – zu hoch

Mit ca 24,5kg ist das Kenevo 2,5kg schwerer als mein 2018er Merida E- One Sixty. – Setuptipps Merida eOne Sixty –  Durch das Integrieren der Akkus im Rahmen und Anbau massiverer Teile (v.a.Reifen) sind E-Bikes in den letzten Jahren generell schwerer geworden. Im Vergleich zum Bio Bike sorgt mehr Gewicht zwar für sattes, sicheres Fahrverhalten, wenn es zuviel wird, leidet allerdings das Handling. Wer gerne aktiv bergab fährt und mit dem Bike spielt, wünscht sich ein paar Kilo weniger. Das Kenevo ist Anbetracht der Ausstattung mit Doppelbrückengabel, Stahlfederdämpfer, stabilen Laufrädern und großem Akku zwar nicht sonderlich schwer, absolut gesehen mit 24,5kg aber schon.

Mit dem Turbo Levo SL zeigt Spezialized in welche Richtung sich sportliches E- Biken entwickeln wird. -Spezialized Levo SL 2020 E-Bike Light Test – Die hohe Leistung aktueller E-Bike Motoren wird im Grunde von den meisten sportlichen E-Bikern nicht genutzt. Konstruiert man um den kleineren Powerbedarf einen kompakten Motor mit weniger Energiebedarf, wird das Bike deutlich leichter. Die Gretchenfrage ist, wie viel weniger denn jetzt ideal ist? Der Turbo Levo SL Motor wäre mir persönlich zu schwach und vor allem darf dabei die Reichweite nicht auf der Strecke bleiben! Ich bin gespannt, welcher E-Bikemotoren künftige Spezialized E-Bikes haben werden. Für die Kenevo Generation3 würde das möglicherweise bedeuten: Leichtkonzept, dazu statt Doppelbrücke eine neue 38er Einfachbrückengabel und satt Stahl- ein Luftfederbein und schon wären 2-3 Kilo eingespart….

Auch auf technischen Trails wäre etwas weniger Gewicht von Vorteil

Die Komponenten – Schaltung top, Bremse flop

SRAM GX Eagle Schaltung
Die robuste 11fach Schaltung passt perfekt zum Kenevo. Alle 800km Kette wechseln und alles schaltet alles wie am ersten Tag. Nur die Übersetzung ist mit der 11-42er Kassette zu hart. Langsam klettern mit wenig Unterstützung geht da nicht.

SRAM Code R Bremse
Mit der Bremse war ich nicht recht zufrieden. Fährt man den Hebel nahe am Lenker, bleibt der Druckpunkt nicht stabil. Und Initialgrip würde ich mir auch mehr wünschen. Einzig die Bremsleistung konnte ich durch Umbau auf eine 220er Scheibe vorne spürbar verbessern.  – Spezialized Turbo Kenevo Expert 2020 – Tuningtipps –

Fazit

Mit dem Spezialized Turbo Kenevo Expert war und bin ich sehr zufrieden. Das betrifft sowohl Haltbarkeit als auch Fahreigenschaften. Die radikal lange, flache Geometrie zusammen mit dem 18cm Downhillfahrwerk gibt Sicherheit ohne Ende, wenn es ruppig steil bergab geht. Spielerisches Fahren ist allerdings mit viel Krafteinsatz verbunden, daher wäre weniger Gewicht und ein kürzeres Heck meine größten Wünsche für die dritte Kenevo Generation. Dazu könnte der Motor ruhig deutlich schwächer sein, dafür eine schärfere Übersetzung für steile Rampen und eine Motorsteuerung mit 5 statt 3 Unterstützungsstufen haben. Dann noch eine aggressivere Bremse und fertig wäre mein Spezialized Traumbike für die nächsten Jahre!