Nur wenige Adventurebiker beschäftigen sich mit dem Thema Fahrwerksabstimmung. Entspricht Einsatzbereich und Fahrergewicht der Auslegung des Bikes, ist das auch nicht notwendig. Lediglich bei Soziusbetrieb muss die Federvorspannung am Heck der höheren Zuladung angepasst werden, damit die Balance des Bikes passt und genug Druck am Vorderrad lastet.
Liegt man allerdings außerhalb des vom Hersteller vorgegebenen „Idealgewichts“, besteht Handlungsbedarf. Ist das Adventurebike vom Grundsetting her eher für den Touringbetrieb ausgelegt, also eher auf der komfortablen Seite, und man ist sportlicher unterwegs, kommt ebenso die Fahrwerksabstimmung ins Spiel.

Schon im Auslieferungszustand für sportlichen Offroadbetrieb abgestimmt – KTM 890 Adventure R

Passt die Federhärte?

Die Federhärten in Gabel und Federbein sind herstellerseitig meist auf ca. 80kg Fahrergewicht  ausgelegt. Wobei in der Regel die Japaner von etwas leichteren (70-80kg), die Europäer von etwas schwereren Fahrern ausgehen. Bei KTM denke ich 80-90kg. Ich komme bei meiner KTM 890 Adventure R mit 90kg inkl. Ausrüstung mit den Serienfedern gut zurecht. (Dynamischer SAG passt, siehe unten)
Sind die Federn zu weich für mein Gewicht, sackt das Bike inkl. Fahrer zu stark ein und verschenkt Federweg. Dadurch geht Komfort und Traktion verloren. Außerdem leidet die Fahrstabilität.
Bei zu harten Federn nutzt man den Federweg nicht aus und bringt das Fahrwerk zu wenig zum Arbeiten. Auch hier leidet Komfort und Traktion. In beiden Fällen ist ein Umbau auf die richtige Federhärte sehr zu empfehlen.
Für die ideale Federhärte sollte das Bike im Stand mit Fahrer (in voller Montur, am Bike stehend) 30-33% des (Hinterrad-) Federwegs einsinken (dynamischer Durchhang). 72-79mm bei einer KTM 890R mit 240mm Federweg. Das lässt sich an zwei Punkten (Hinterradachse zu Kotflügel) zu zweit gut messen. Ist man außerhalb dieses Fensters, sollte man die Federn wechseln. Wobei man immer an der Gabel den gleichen Federhärtenschritt mitmacht. Wegen der Balance – womit wir beim nächsten Fahrwerkssetting Punkt sind.

Bei harten Landung nach Sprüngen entscheidend – die richtige Fahrwerksabstimmung

Fahrzeugbalance gecheckt?

Hier geht es um die Lastverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse. Und damit um gewichtigen Einfluss auf die Fahreigenschaften. Über- bzw. Untersteuern in Kurven kann, abgesehen von der Fahrtechnik, die Ursache in einer falsch eingestellten Balance haben. Ebenso wie gefühlte Heck- oder Frontlastigkeit.
Eingestellt wird hier über die Federvorspannung, und das vor allem am Federbein. So wird z.B. durch Erhöhung der Vorspannung das Heck angehoben und damit der Druck auf das Vorderrad erhöht. Hier findet Ihr im Handbuch den sog. statischen SAG Wert (statischer Durchhang). Das ist der Wert, den das Heck alleine durch das Motorradgewicht einsackt. Bei einer KTM 890 Adventure R sind das z.B. 2,5cm. Auf diesen Wert ist die Balance des Motorrads ausgelegt, daher solltet Ihr kontrollieren, ob der statische SAG bei Eurem Bike richtig eingestellt ist. In der Regel fährt sich das Motorrad dann neutral. Ist das nicht der Fall, kann man den Wert über die Vorspannungsverstellung leicht verändern und so die Lastverteilung zwischen den Rädern anpassen. (Ihr kennt das von der Erhöhung der Federvorspannung bei 2-Personenbetrieb bzw. bei viel Gepäck)
Alternativ kann die Balance auch über den Gabelüberstand eingestellt werden. Schiebt man die Gabel in der Brücke weiter rein, senkt sich die Front. Verfügt die Gabel über Preload Adjuster, lässt sich auch hier die Vorspannung und damit das Fahrzeugniveau einstellen.

Ein ziemlich komplexes Thema, wobei ich hier empfehle, bei der Gabel im ersten Schritt alles zu lassen und am Federbein die beiden SAG Werte (dynamisch wie statisch) zu checken. Liegen die Werte im grünen Bereich, wird auch die Balance zu 99% passen.

Schön ausbalanciert zum Jafferau Gipfelfort

Jetzt geht’s an die Fahrwerksabstimmung

Passen Federhärten und Balance, ist die Fahrwerksabstimmung an der Reihe. Dabei geht es im Grunde darum, die Ein- und Aus- Federgeschwindigkeit zu kontrollieren. Die Räder sollen Grip zum Untergrund aufbauen, das Fahrzeug kontrolliert und dabei komfortabel bewegt werden können.
Eingestellt wird die Geschwindigkeit des Aus- (Rebound) und des Einfederns (Compression) über Klick Einstellungen an Gabel und Federbein. Wobei in der Regel die Standardeinstellungen vom Hersteller schon gut überlegt sind und in der Regel zu 90% passen. Zumindest bei KTM ist das so. Hier wird dann auch eine etwas schnellere „Komfort“ und eine langsamere „Sport“ Einstellung für flotte Piloten vorgeschlagen. Damit sollte man schon mal recht gut zurechtkommen.

Klicker Einstellungen

Generell ist es bei Druck- und Zugstufeneinstellung immer so, dass die Klicks von ganz geschlossen geöffnet werden und die Anzahl der Klicks gezählt wird. Wobei ganz hineingedreht ganz langsam ist. Je weiter man aufdreht, umso schneller werden die Bewegungen des Fahrwerks. Der Ölfluss wird freigeben. Generell bedeutet schneller komfortabler, aber dazu gleich mehr.

Compression (Druckstufen-) Einstellung

Die Einstellung der Druckstufe (Compression) , also der Geschwindigkeit des Einfederns, ist der einfachere Part. Kommt einem das Fahrwerk generell eher hart und wenig komfortabel vor, dreht man die Druckstufe weiter auf. Sackt das Motorrad gerne tief in den Federweg, schließt man die Druckstufe etwas.
Beim Federbein haben einige Hersteller eine Druckstufe für niedrige Einfeder- Geschwindigkeit (Low Speed Compression) und eine für hohe Geschwindigkeit (High Speed Compression). Hier wird die Sache dann etwas komplizierter. Die relevantere Einstellung ist die Low Speed Compression, die für langsame Schläge, wie sie bei Steinen, Wurzeln und Löchern entstehen, relevant ist.
High Speed Compression kommt zum Tragen, wenn die Feder schnell zusammen gedrückt wird, wie etwa bei harten Landungen nach Sprüngen. Aber das kommt ja beim Adventurebiken eher selten vor, außer bei den Rallypiloten.

Rebound (Zugstufen- ) Einstellung

Hier wird die Ausfedergeschwindigkeit eingestellt. Schaukelt das Fahrwerk nach härteren Schlägen und langen Wellen nach, ist die Zugstufe zu weit offen. Ist die Zugstufe zu langsam eingestellt, kann die Feder zwischen den Schlägen nicht ganz ausfedern und verhärtet sich. Wer jetzt um mehr Komfort zu bekommen, die Druckstufe öffnet, wird das Federungsverhalten nicht verbessern. Also Achtung beim Zudrehen des Rebounds.
Für die Fahrwerksabstimmung fährt man zuerst mit eher offener, schneller Einstellung und geht dann Schritt für Schritt langsamer, bis die Unruhe im Fahrwerk weg ist. Bei schnellen Fahrern entsteht mehr Bewegung, die gedämpft werden muss, daher fahren sie mit etwas mehr Zugstufe. Wie es auch das KTM „Sport Setting“ vorschlägt.

Ideal für spielerisches Fahren – eine offenere, schnellere Dämpfungsabstimmung

Das Jentlflow KTM 890 Adventure R Setting

Ich persönlich habe es aber gerne, wenn sich das Fahrwerk bewegt, das unterstützt ein aktives, spielerisches Fahren. Daher versuche ich die Zugstufe so offen wie nur möglich zu fahren.
Die Druckstufe fahre ich auch relativ offen, damit ich den Federweg besser nutzen kann und mehr Komfort habe. Erst wenn mir das Fahrwerk zu schwammig wird, drehe ich die Druckstufe wieder etwas zu. Wenn es bei schnellen harten Schlägen nachschaukelt, drehe ich die Zugstufe etwas mehr zu.
Daher auch mein Fahrwerksetting Tipp: Zuerst Rebound und Compression ein paar Klicks rausdrehen und testen, wie sich das anfühlt.

Federgabel Montage und Ausrichtung

Fühlt sich die Gabel harsch und unkomfortabel an, kann das auch an einer schlechten Montage liegen. Da bei einer Federgabel zwei Rohre (Stand- und Tauchrohr)  ineinandergleiten, reagiert sie auf zu feste Klemmung im Gabelbrückenbereich und Verspannungen an der Vorderachse empfindlich. Daher, bevor man mit dem Fahrwerkssetting beginnt, die Anzugsmomente (lt. Handbuch) der Gabelbrücke mit einem Drehmomentschlüssel checken und prüfen, ob die Gabelfaust an der Achse nicht verkanntet ist.

Fahrwerkssetting und Fahrtechnik

Ein Aspekt, der bei der Fahrwerksabstimmung nicht vergessen werden darf, ist die Fahrtechnik. Der Fahrer trägt durch sein Gewicht bei einem Adventurebike ca. einem Drittel des Gesamtgewichts bei. Wer aktiv fährt (Weightless rider technique) und sein Gewicht im entscheidenden Moment vom Motorrad nimmt, lässt die Federung viel freier arbeiten. Wie im Blogbeitrag – Fahrtechniktraining für die Bosnia Rally – beschrieben. Daher gilt auch hier, wie beim Ergonomie Setup: Zuerst mit der Offroad Fahrtechnik beschäftigen, erst dann mit der Fahrwerksabstimmung.

Fazit

Michael Jentl JentlFlowWer außerhalb des vom Hersteller vorgesehen Fahrergewichtsrahmens liegt und/oder das Adventurebike sportlich Offroad bewegt, sollte am Fahrwerk Hand anlegen. Die Federhärten müssen zum Fahrergewicht passen und das Bike sollte zwischen Vorder- und Hinterachse ausbalanciert sein. Erst dann geht es an die etwas komplexe Fahrwerksabstimmung. Dabei immer die Offroad Fahrtechnik im Fokus, denn erst dann kann das Fahrwerk richtig frei arbeiten und entfaltet sein volles Potenzial.